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Die Mitteilungsblätter der WBG

Seit 1970 erscheint vierteljährlich das Mitteilungsblatt der Wiener Beethoven-Gesellschaft. Es beinhaltet alle aktuellen Infos, Aktivitäten und Veranstaltungen der Gesellschaft und wird allen Mitglieder zugeschickt.
 
Das aktuelle Mitteilungsblatt 3/2023 können hier als PDF-Datei anschauen, oder herunterladen >>

Auf den folgenden Registerkarten bekommen Sie einen kleinen Einblick in die Jahrgänge der letzten Jahrzehnten.

XXX. Jg. 1/1999

"... composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo"

Beethoven» "Eroica"' als Hommage des Fürsten Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz für Louis Ferdinand von Preußen

Ing. Walther Brauneis (Generalsekretär der WBG)

Erste musikalische Gedanken zur „Eroica“ wurden von Beethoven bereits 1802 niedergeschrieben. In eben diesem Jahr wurde der korsische General Bonaparte in einem überwältigenden Plebiszit zum Ersten Konsul auf Lebenszeit ernannt. Von ihm erwartete Beelhoven, daß er „nach und nach die Hauptprinzipien der Platonischen Republik verwirklichen“ und „den Grund zu einem allgemeinen WeItenglück legen“ werde. Und so wie Cherubini oder Paisiello war auch Beethoven bereit nach Paris zu gehen, um dort dieser neuen Epoche musikalisch zu huldigen, in der die Musik die Aufgabe gestellt erhalten hatte, „die Tugenden, den Triumph und den Ruhm unserer republikanischen Helden zu besingen“.

Bis ins Frühjahr 1804 lassen sich die Umzugsplane Beethovens aus brieflichen Quellen bestätigen. Sozusagen als musikalische Visitenkarte wollte er in Paris sein neuestes, von ihm selbst noch als „Sinfonia grande“ bezeichntes Werk präsentieren. Er dachte an eine Widmung an Bonaparte; mit dem Trauermarsch wollte er den Helden der „Grande Armée“ seine Referenz, erweisen. Allerdings behielt sich Beethoven in realistischer Abschätzung der Unwägbarkeit der politischen Entwicklung vor. die Symphonie nur programmatisch „Bonaparte“ zu benennen und dem Fürsten Joseph von Lobkowitz gegen klingende Münze (sprich 400 Gulden) ein halbjähriges Voraufführungsrecht einzuräumen.

Der Traum Beethovens von einer neuen künstlerischen Existenz in Paris zerschellte im Mai 1804 an der Kaiserproklamation Napoleons, die durch das Patent vom 11. August 1804 über die Annahme von Titel und Würde eines erblichen Kaisers von Österreich durch Kaiser Franz II. konterkariert wurde. Damals wurde der Name "Bonaparte" auf der Titelseite von Beethovens „Handexemplar“ so heftig ausgemerzt, daß im Papier jenes Loch entstand, das diese im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien bewahrte Musikhandschrift weltberühmt gemacht hat. Für Beethoven, aber mehr noch für Lobkowitz, war diese Tilgung angesichts der wachsenden antifranzösischen Stimmung ein Gebot der politischen Vernunft.

Zur Aufführungsgeschichte der „Eroica“ war über fast 180 Jahre nur Datum und Ort der ersten öffentlichen Präsentation bekannt: Es war der 7. April 1805, an dem die Symphonie am Schluß eines Konzertes im Theater an der Wien unter Beethovens Leitung erklungen war. Erst 1984 wurde ein Rechnungsbeleg aus dem Lobkowitzschen Familienarchiv veröffentlicht, in dem zwei Orchesterproben zwischen Ende Mai und Anfang Juni 1804 in Wien abgerechnet wurden. Zu diesem Zeitpunkt muß Beethoven das Voraufführungsrecht bereits an Lobkowitz abgetreten haben.

Was die erste Privataufführung in Wien anbelangt, galt der 23. Januar 1805 als der denkwürdige Tag, an dem im Palais Lobkowitz die Symphonie erstmals erklungen war. Tatsächlich ist die „Eroica“ aber bereits drei Tage zuvor - am 20. Januar 1805 - im Stadthaus der Banquiers Fellner & Würth aufgeführt worden. Diese Wiener Erstaufführung durch großbürgerliche Musikfreunde war möglich geworden, da ganz offensichtlich zum Jahreswechsel das Voraufführungsrecht des Fürsten abgelaufen war.

Zu der sich aufdrängenden Frage nach dem Zeitpunkt der ersten privaten Aufführung im Hause Lobkowitz erbrachte kürzlich der tschechische Historiker Jaroslav Macek einen bislang unbekannten Rechnungsbeleg aus dem Lobkowitzschen Familienarchiv, aus dem hervorgeht, daß in der ersten Augusthälfte 1804 zusätzliche Kerzen für die Saalbeleuchtung gelegentlich der „Ausführung der neuen Symphonie von Beethoven" angeschafft werden mußten. Diese Aufführung fand nicht in Wien statt, sondern in der Sommerresidenz Eisenberg (heule: Jezerí) in Nordböhmen.

Von einer Widmung an Lobkowitz, die schlußendlich weitere 300 Gulden und 80 Golddukaten einbrachte, erfährt eine breitere Öffentlichkeit dann im Herbst 1806. Auf dem Titelblatt des Stimmenerstdrucks des erstmals „Sinfonia eroica“ genannten Werkes ist nun zu lesen: ..... dedicata A Sua Altezza Serenissima il Principe di Lobkowitz". Im Untertitel wird als Anlaß der Komposition die Verherrlichung eines außergewöhnlichen Menschen angegeben ( composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo“).

Nach der ein Jahr zurückliegenden Niederlage Österreichs konnte mit dem ..grand Uomo“ schwerlich Napoleon gemeint sein. Hinter dieser anonymen Formulierung mußte vielmehr eine herausragende Persönlichkeit gestanden haben, die mit Lobkowitz und Beethoven bekannt, aber aus Gründen der Staatsraison nicht mit Namen zu benennen war. Eine solche Persönlichkeit war zweifellos Louis Ferdinand von Preußen, dem Beethoven im Spätsommer 1804 sein Drittes Klavierkonzert in c-moll (op. 37) gewidmet hatte und der zu den ständigen Gästen des Fürsten auf dessen nordböhmischen Schlössern zählte.

Politisch gesehen war der hochmusikalische Preußenprinz der Überzeugung, daß nur eine Allianz Preußens mit Österreich und Rußland dem Vormarsch Napoleons in Europa Einhalt gebieten könnte. Darin stimmte mit ihm auch Lobkowitz überein, der am 2. Februar 1806 in einem französisch abgefaßten Brief an ihn die Zukunft Europas unter dem Joch Napoleons heraufbeschwor, „wenn nicht ein Mann von seltener Begabung und großem Mut sich an die Spitze des deutschen Chaos setzt [...]. Sie allein haben das Genie, den Geist der Bildung, den Mut, die Gefühle eines großmütigen, hohen und weiten Herzens, das notwendig ist, um das Wagnis einer Sache dieser Art zu unternehmen.“

In dem ..homme d’un génie rare et d’un grand courage“ ist unschwer der "grand Uomo" zu erkennen, der in einem Avantgardegefecht gegen die Franzosen am 10. Oktober 1806 den Heldentod gefunden hatte. Als dann 1809 in London die erste Partiturausgabe der "Eroica" erscheint, ist im Kopftitel mit dem Hinweis „... composta per celebrare la morte d’un’ Eroe“ offensichtlich der bereits zur Legende gewordene Preußenprinz gemeint.

Die Jahre nach dem „Wiener Kongreß“ führten bei Beethoven zu einer Neubewertung der Persönlichkeit und der Ideen des noch wenige Jahre zuvor verhaßten Napoleon. Und so notierte Beethoven resümierend auf dem Titelblatt seines „Handexemplars'" mit stumpfem Bleistift: „geschrieben auf Bonaparte“.

In Paris wurde Beethovens "Eroica" am 5. Mai 1811 zum ersten Mal aufgeführt.

Eine ausführliche Darstellung dieser völlig neuen Fakten zur Erstaufführung der „Eroica“ bei Fürst Lobkowitz bietet die „Österreichische Musikzeitschrift" 12/1998. Zu bestellen in der Redaktion (1010 Wien, Hegelgasse 13, Tel. 512 68 69, Fax 512 46 29).

Eigentümer, Herausgeber, Verleger und Druck: Wiener Beethoven-Gesellschaft. Für den Inhalt verantwortlich: Ing Walther Brauneis. Beide: 1190 Wien. Probusgasse 6

XLV. Jg. 4/2014

Laimgrubengasse 22

eine authentische Beethoven-Wohnung und ihre Geschichte

von Dr. Günther Buchinger, Wien

Unter den Beethovenstätten in Wien ragt die von der Wiener Beethoven-Gesellschaft mit Hilfe einer Subvention durch die Kulturabteilung der Stadt Wien zur Konservierung angemietete Wohnung im Haus Laimgrubengasse heraus, indem sie der erhaltenen Teil der einzigen gesicherten Wohnung geblieben ist, in der unter einem Linoleum-Belag noch der originale Bretterfußboden gefunden wurde. Kürzlich wurden vom Bundesdenkmalamt die Schichten der Wandfarben untersucht, wie sie immer wieder übermalt wurden. Am „Tag des Denkmals“ 2013 wurden diese Arbeiten dann einem interessierten Publikum präsentiert. Zu Beethovens Zeiten war das Haus noch relativ neu und gerade ausgebaut worden, wie nun im Folgenden genauer aufgeführt wird.

Als Nachtrag der Josephinischen Reformen wurde im Jahr 1797 das Kloster der Unbeschuhten Karmeliter an der Mariahilferstraße im 6. Wiener Gemeindebezirk aufgelassen. Schon Jahre zuvor musste der große, unterhalb des Klosters an den Hängen zum Wienfluss gelegene Garten, der sich nördlich der heutigen Gumpendorferstraße und östlich der Laimgrubengasse erstreckte, dem Religionsfonds überantwortet werden. Nachdem zwei neue, von der Gumpendorferstraße (damals Kothgasse) nach Norden führende Straßen (Pfarrgasse, heute Laimgrubengasse, und Rosengasse, heute Filligradergasse) angelegt und der Garten in siebzehn Parzellen unterteilt worden war, ersteigerte Jakob Adam am 29. Juli 1788 das Grundstück der Vorstadt Windmühle Nummer 51 in der Pfarrgasse (heute Laimgrubengasse 22). Bis 1790 ließ er an der Straße ein siebenachsiges, dreigeschossiges Wohnhaus erreichten, das am 19. Februar in das Grundbuch aufgenommen wurde. Die in der Literatur behauptete Erbauung schon im Jahr 1782 beruht auf einem zeitgenössischen Fehler, als der aus diesem Jahr stammende Einreichplan eines anderen Wohnhauses von der Baubehörde (dem Unterkammeramt) im Nachhinein irrtümlicherweise der Parzelle Nr. 51 zugeordnet wurde.

1809 erwarb der bürgerliche Vergolder Johann Holzmann das Haus Lahngrubengasse 22 (mittlerweile Windmühle Nr. 53), das er 1815 er-weitern ließ. Nach einem Entwurf des viel beschäftigten bürgerlichen Baumeisters Joseph Raymund, der den Auftrag als vorgesetzter Meister der Baumeisterwitwe Pollnfürst durchführte, erhielt das Gebäude einen nördlichen Hoftrakt, der unmittelbar neben dem gewendelten Stiegenhaus des Straßentraktes ansetzt und somit mühelos erschlossen werden konnte. Jeweils ein zweiachsiges Zimmer und eine einachsige Kammer im ersten und zweiten Obergeschoß des neuen Hoftraktes bildeten fortan mit einer Küche im Altbau neben der Stiege und mit zwei straßenseitigen Räumen eine große Wohneinheit. Der Zubau bewirkte also eine räumliche Erweiterung zweier Wohnungen, die somit an Attraktivität gewinnen sollten.

Das dergestalt aufgewertete Wohnhaus erwarb 1817 der Beamte der k. k. Hofkriegsbuchhalterei Franz Schilde. Kurz darauf wurde die Konskriptionsnummer des Hauses in der Pfarrgasse auf Windmühle Nr. 60 geändert. Zu jener Zeit bewohnte der Apotheker Johann van Beethoven das Nachbarhaus Gumpendorferstraße 22 (damals Kothgasse, Wind-mühle Nr. 61), das seit seiner Erbauung 1790 der Bäckerfamilie Obermayr gehörte. Therese, die Tochter des Meisters Wolfgang Obermayr, war mit Johann verheiratet, der seit der Hochzeit im schwiegerelterlichen Haus lebte. Johann dürfte seinen Bruder Ludwig van Beethoven 1822 dazu bewogen haben, in seiner Nachbarschaft eine Wohnung zu beziehen. Die Lokalisierung dieses Domizils war lange Zeit unklar. Während die ältere Literatur meinte, Beethoven wäre in das später durch einen Neubau ersetzte Wohnhaus seines Bruders gezogen, konnte Otto Erich Deutsch 1937 das Haus mit der heutigen Adresse Leimgrubengasse 22 als noch bestehendes Beethovenhaus identifizieren. Folgende Belege sind dafür anzuführen:

In einem Konskriptionsblatt für das Haus Windmühle Nr. 34 (später durchgestrichen, mit „54“ dann mit „61“ und schließlich mit „60“ korrigiert) steht: „Ludwig van Bethofen“ 773. Thonkünstler, geb. von Wien [sic!], ledig“. Die verwirrenden Korrekturen auf diesem Blatt dürften zunächst die Ursache für die frühere Meinung gewesen sein. Beethoven hätte im Nachbarhause Kothgasse Nr. 61 bei seinem Bruder Johann logiert. Beethoven selbst schickte jedoch, nachdem er die Wohnung im Windmühlengrund im Mai 1823 verlassen hatte an seinen Sekretär Anton Schindler, der noch dort wohnte, einen Brief in die „Kothgasse Nr. 60“. Auch auf einer undatierten Notiz an den Musikverleger Anton Diabelli findet sich von fremder Hand ein entsprechender Hinweis: „Nächst der Kothgasse in der oberen Pfarrgasse No 60 ...“.

Johann van Beethoven besorgte seinem Bruder dieses billige Quartier in der Laimgrubengasse und mietete es, ohne ihn lange zu fragen. Um nicht die Beziehung zu seinem Bruder zu belasten, stimmte der Komponist zu. auch wenn er die Entscheidung in einem Brief vom 26. Juli 1822 kritisch sah: „Wegen der Wohnung, da sie schon genommen ist. so mag's seyn, ob sie aber eben auch gut für mich ist, ist eine Frage? Die Zimmer gehn in den Garten, nun ist aber Gartenluft gerade die unvorteilhafteste für mich, alsdann ist der Eingang durch die Küche zu mir, welches sehr unangenehm und unzuträglich ist.“ Eine weitere Überrumpelung des Komponisten verursachte der Hausherr Franz Schilde, der ihm bei der Vorbesichtigung eine Wohnung im zweiten Stock zeigte, während Beethoven beim Einzugstermin mit einer Wohnung im ersten Stock Vorlieb nehmen musste.

In der genannten Notiz an Diabelli ist die neue Wohnung näher lokalisiert: „ … im 1sten Stock gleich die Thür bei der Stiege.“ Vom Stiegenpodest waren zwei Wohnungen zugänglich - welche der beiden Beethoven tatsächlich bewohnte, erfährt man aus einem eigenhändigen Adresszettel, den der Komponist im November 1822 nach der Wiederaufführung des „Fidelio“ dem Darmstädter Musiker Louis Schlösser als Gedächtnishilfe mit auf den Weg gegeben hatte: „Kothgasse No. 60, erster Stock, links die Thür“. Damit handelte es sich also um die Wohnung mit den zwei Zimmern im 1815 neu errichteten Hoftrakt. Der Zugang war über die Küche, und die Zimmer Beethovens rechts der Küche im Hoftrakt boten Aussicht auf den Garten. Sein Sekretär Anton Schindler bewohnte links der Küche den straßenseitigen Raum, an den ein Kabinett anschloss (siehe Abb.).

Schlösser schilderte in seinem Bericht über das Zusammentreffen mit Beethoven am 1. März 1823 die Wohnung und ihr Ambiente sehr genau: „Meine Phantasie hatte sich Beethovens Heim mit den freundlichsten Bildern ausgemalt: Je näher ich aber gegen Ende der Fahrt zwischen den steilen Häuserreihen der ungemütlichen Kothgasse bergan fuhr und endlich vor dem niederen, unansehnlichen Hause hielt, zu dessen Eingang eine rauhe Steintreppe führte, konnte ich mich des Staunens, ja der Rührung nicht erwehren, den großen Tondichter in einer solchen Umgebung aufsuchen zu müssen. Gegenüber in einer offenen Werkstätte schwang, gleich dem Schmied Vulkan, ein herkulischer Glockengießer den wuchtigen Hammer, dass die gellenden Schläge weithin die Luft er-schütterten und mich so schnell als möglich in das Innere des Hauses No. 60 trieben, wo ich dann, ohne einen Mann, vermutlich den Eigentümer, der mir auf der Schwelle entgegentrat, weiter zu beachten, die unbequeme, stelle Treppe zum ersten Stock. Tür links, hinaufeilte. Es überkommen einen zuweilen Stimmungen, die man nicht in Worte fassen kann und unwillkürlich bei dem Gedanken, einer außergewöhnlichen Zelebrität bald gegenüberzutreten, jene nicht zu bemeisternde Befangenheit erzeugen. Ähnlich erging es mir, als ich, da weder Diener noch Magd sich blicken ließen, die Eingangstür vorsichtig öffnete und - ahnungslos in einer Küche stand, durch welche man erst in die Wohnung gelangte … Nach mehrmaligem, doch vergeblichem Klopfen an die eigentliche Zimmertür trat ich entschlossen ein und befand mich in einer ziemlich geräumigen. aber ganz schmucklosen Stube: ein großer viereckiger Tisch aus Eichenholz mit verschiedenen Sesseln, auf denen es etwas chaotisch aussah, stand in der Mitte; darauf lagen Schreibhefte und Bleistifte, Notenbogen und Federn, eine Taschenuhr, ein Metronom, ein Hörrohr von gelbem Metall und dergleichen Dinge mehr. An der Wand links vom Eingang stand das Bett, mit Musikalien, Partituren und Schreibereien voll bedeckt. Nur eines eingerahmten Ölbildes erinnere ich mich (es war das Portrait seines Großvaters, an dem er bekanntlich mit kindlicher Pietät hing) als des einzigen Ornaments, das mir auf fiel, und zweier tiefer Fensternischen, mit glattem Holzgetäfel bekleidet, erwähne ich nur deshalb, weil in der ersten eine Violine mit Bogen an einem Nagel befestigt war, in der anderen Beethoven selbst, den Rücken mir zukehrend, im Hausanzuge stand, eifrig Zahlen und dergleichen auf das vollgekritzelte Holz schreibend?“

Während dieser Besuch am 1. März 1823 stattfand, wurde der elfjährige Franz Liszt unmittelbar vor seinem zweiten Konzert, das er am 13. April im Kleinen Redoutensaal der Wiener Hofburg gab, von Beethoven in dessen Wohnung empfangen. Schließlich suchte ihn auch Franz Grillparzer in der Laimgrubengasse auf, wahrscheinlich Mitte Mai, um mit ihm über den bereits vollendeten Entwurf zur Oper „Melusine“ persönlich zu verhandeln.

Mit dem Hausherrn Franz Schilde verband Beethoven seit seinem Einzug eine gespannte Beziehung. Dessen ungebührliches Verhalten dem Mieter gegenüber führte fast zu einer Trennung der Brüder, wie aus einem undatierten, aber aufgrund der Zusammenhänge aus dem Winter 1822/1123 stammenden Brief Beethovens an seinen Bruder Johann hervorgeht: „Wozu dieses Betragen? Wozu soll es führen, ich habe nichts wider dich, ich messe Dir nicht die Schuld bey, was die Wohnung betrifft. Dein Wille war gut. u. es war ja auch selbst mein Wunsch, dass wir näher zusammen sein sollten, das Übel ist nun einmal auf allen Seiten in diesem Hause da, du willst aber von allem nichts wissen, was soll man hierzu sagen? - welch liebloses Betragen, nachdem ich in eine solche Verlegenheit geraten bin ... lass nicht ein Band zerreißen, welches nicht anders als ersprießlich für uns beide sein kann - und weswegen? Um Nichtswürdiger Menschen willen!“

Grundriss des ersten Stocks des Hauses Laimgrubengasse 22 aus der Zeit der Errichtung des zweiten, rechten Hoftraks. Zu Beethovens Zeit war der Grundriss des Hauses noch L-förmig. Vorne befindet sich die Gassenfront mit sieben Fensterachsen. Die beiden Räume rechts sowie das dahinter liegende Vorzimmer mit der Rauchküche bilden heute den von der WBG angemieteten Rest der Beethoven-Wohnung: dahinter befand sich das spätere abgetrennte große Zimmer mit dem Klavier und ein Kabinet. Das andere Kabinett vorne enthält eine als Gewölbe in die Mauer eingelassene Bettnische, die auf eine ursprünglich durchgehende entlang der kompletten Gassenfront geplante Wohnung hinweisen könnte. Das Stiegenhaus mit der Wendeltreppe ist am U-förmigen Grundriss zu erkennen, und rechts gleich daneben liegt der Abort mi dem Schacht, der zur Sickergrube führte.

Trotz der „fortdauernden Brutalität des Hausherrn“ wollte Beethoven die Wohnung auch über den Sommer 1823 behalten, nicht um sie weiter zu bewohnen, sondern um nicht mit Umzugsgut belastet zu sein - dabei stieß er jedoch auf Schwierigkeiten. Am 2. Juli 1823 riet Beethoven, der bereits ausgezogen war, seinem Sekretär Schindler, sich der „Hülfe einer K. K. Polizey“ zu versichern, da der Hausherr, obwohl die Miete bezahlt war, „den Zettel angeschlagen hat ohne aufsagung“, also die Wohnung als frei angekündigt hatte. Gleichzeitig beschwerte sich Beethoven über die unerträglichen Zustände in der Wohnung „Eben so unbillig ist es mir die Quittung von georgi bis jetzt kommenden Jakobi zu verweigern, wie dies Blatt zeigt, da ich eine Beleuchtung bezahlen soll, wovon ich nichts erfahren u. diese abscheuliche Wohnung ohne Ofenkamine u. mit dem elendsten Hauptkamine mich wenigstens 259 fl. W. W. besondere Auslagen ohne den Hauszins gekostet, um nur das Leben fristen zu können, während ich da war im Winter. Es war ein absichtlicher Betrug indem ich niemals die Wohnung im ersten Stock sondern nur im 2ten Stock sehen konnte, damit mir die vielen widrigen Umstände derselben unbekannt bleiben sollten; ich begreife gar nicht, wie es möglich ist, dass ein so schändlicher die menschliche Gesundheit verderbender Kamin von der Regierung geduldet werde; sie erinnern sich, wie die Wände In Ihrem Zimmer ausgesehen vor rauch, welche große Kosten er verursachte, wenn auch nicht ganz dem Ungemach zu entgehen möglich war, doch nur es zu lindern: die Hauptsache ist derweil, dass er angewiesen werde, den Anschlagzettel herunterzunehmen, u. mir meine Quittung zu geben vom bezahlten Hauszins, da ich auf keinen Fall diese schlechte Beleuchtung bezahlen werde.“ Der Hausherr wollte demnach von dem bezahlten Mietzins einen Teil als Vergütung für eine Beleuchtung verbuchen und somit wegen nicht vollständig bezahlten Zinses die Wohnung neuerlich vermieten. Tatsächlich schritt die Polizei ein, wie Schindler am 3. Juli 1823 mitteilte: „Der Polizeidirektor Hr. Ungermann lassen sich Ihnen empfehlen, u. die Sache sey im Voraus so abgethan, wie Sie es wünschen. Nur wegen dem Beleuchtungsbetrag sollen Sie nicht die 6 fl. anschauen, damit Ihnen der Flegel von dieser Seite nichts anhaben kann.“ Beethoven konnte also die Wohnung halten, hatte aber finanzielle Einbußen und reagierte empört: „Wie ist es nur möglich dass sie vom Hausflegel etwas solches mit einer Drohung begleitet annehmen können?“

Diesem Briefwechsel sind auch die Lebensumstände in einer entsprechenden Vorstadtwohnung im Wiener Vormärz eindrucksvoll zu entnehmen. Von Oktober 1822 bis zum 17. Mai 1823 in der Laimgrubengasse wohnhaft zählte Beethoven zwar zu den ersten Mietern dieser teilweise neu geschaffenen Wohneinheit - dennoch dürften die hygienischen Bedingungen kaum zumutbar gewesen sein. Gemäß seiner Schilderung war es offenbar notwendig, nur wenige Jahrzehnte nach Errichtung des Hauses den Kamin sanieren zu lassen. Dabei handelte es sich wohl nicht um den erst wenige Jahre alten Kamin in der nordwestlichen Ecke seines Zimmers, sondern um jenen bereits etwas älteren Kamin, der die Küche und das straßenseitige Zimmer Schiadlers versorgte (siehe Abb. 2). Die Wiener Vorstädte entlang der nicht zufällig Kothgasse genannten Gumpendorferstraße, allen voran der weiter westlich gelegene Magdalenengrund, der im Volksmund „Ratzenstadel“ genannt wurde, zeichneten sich zu Jener Zeit nicht gerade durch gehobenen Wohnkomfort aus. Trotz dieser widrigen Umstände verbrachte Beethoven produktive Monate in der Laimgrubengasse und arbeitete an der Missa solemnis, die er nach viereinhalb Jahren fertig stellen konnte, an den im April 1823 vollendeten Diabelli-Variationen, an der 9. Symphonie und der letzten Klaviersonate in c-moll, opus 111.

Im Sterbejahr Beethovens 1827 erwarb der Klavierbauer Joachim Ehlers das Haus Laimgrubengasse 22 und ließ es 1830 nach Plänen des bürgerlichen Baumeisters Josef Dallberg erneut baulich erweitern (Abb. 2). Gegenüber der ehemaligen Wohnung Beethovens entstand ein südlicher Hoftrakt, und das gesamte Gebäude wurde um ein drittes Obergeschoß aufgestockt. Mit der damit verbundenen spätklassizistischen Neufassadierung erhielt das Haus im Wesentlichen sein heutiges Erscheinungsbild mit Riesenpilastergliederung (Abb. 3). 1972 ließ die Wiener Beethoven-Gesellschaft eine Tafel zum Gedenken an des Meisters Aufenthalt in diesem Haus anbringen. Als kurz darauf die straßenseitigen Räume der einstigen Wohnung frei wurden (also jene Räume, die Anton Schindler bewohnte), trat die Wiener Beethoven-Gesellschaft in das Mietverhältnis ein, um zumindest diesen Teil der Wohnung vor Veränderungen zu bewahren und darin eine Gedenkstätte (eröffnet 1979) einzurichten, in der die Geschichte des Hamm und der Aufenthalt Beethovens dokumentiert werden sollten. Während der Restaurierung der Räumlichkeiten waren im Eingangsbereich die Spuren der alten Rauchküche wieder aufgetaucht. Unter einem Bodenbelag aus jüngerer Zeit fanden sich in den beiden straßenseitigen Zimmern die alten abgetretenen Holzdielen, in deren Fugen zwei Spielmarken aus der Zeit Beethovens verborgen waren. Fenster und Türen aus der Erbauungszeit des Hauses blieben erhalten. Der hintere hofseitige Teil der Wohnung wurde später abgetrennt, mit einem separaten Eingang versehen und modern umgebaut. Vieles kommt uns vertraut vor - der Hausbesitzer als unehrlicher „Hausflegel“, die Wohnung mit dem Abort am Gang und wahrscheinlich dem Brunnen im Hof, also Kategorie im aktuellen Mietrecht, der schlecht ziehende Kamin, der Lärm vom Handwerksbetrieb gegenüber, und die schlechte Luft - im Garten wahrscheinlich aber von „Abwässern“, indem von den Aborten im Stiegenhaus alles einen Schacht hinunter fiel, der in einer Sickergrube mündete, denn Kanalisation und fließendes Wasser gab es damals nicht. Der Brunnen im Hof - nicht weit von der Sickergrube - mag auch die Ursache gewesen sein, weshalb man (und Beethoven) lieber Wein statt des „purgierenden“, also Durchfall erregenden Wassers trank, für das Wien berüchtigt war.

Abschließend noch ein Hinweis: die Wiener Beethoven-Gesellschaft hielt in den ersten Jahren nach 1979 in der Laimgrubengasse noch einen Museumsbetrieb aufrecht, der aber wegen der knappen Personalressourcen schließlich aufgegeben werden musste. Die Wohnung kann aktuell also leider nur von Gruppen nach vorheriger Terminabstimmung mit den dafür einspringenden Beethoven-Freunden der WBG besichtigt werden - wir, die WBG, bitten um Verständnis!

Literatur: Rudolf Klein. Beethovenstätten in Österreich, Wien 1970; Kurt Smolle, Wohnstätten Ludwig van Beethovens von 1792 bis zu seinem Tod. Bonn 1970; Kunsthistorische Arbeitsgruppe „GeVAG“, Wiener Fassaden des 19. Jahrhunderts, Wohnhäuser in Mariahilf, Wien/Köln/Graz 1976; Felix Czeike, Mariahilf, Bezirkskulturführer, Band 6, Wein 1981; Helmut Kretschmer, Mariahilf, Geschichte des 6. Wiener Gemeindebezirks und seiner alten Orte, Wien 1992; Walther Brauneis, Allegro di Confusione – oder: „Wohnt hier Beethoven?“, in: Silke Bettermann, Walther Brauneis, Michael Ladenburger, Beethoven-Häuser in alten Ansichten, Bonn 2001. Quellennachweise beim Verfasser. Der Beitrag ist Teil einer umfangreicheren Publikation in der Österreichischen Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 2014. Heft 1 / 2; Günther Buchinger / Friedrich Dahm / Hans Hoffmann / Paul Mitchell / Barbara Obermayr / Michael Rainer / Barbara Riedl / Sylvia Schönolt: Ludwig van Beethoven in Wien. Malerische Ausstattungen in zwei Wohnungen des Komponisten als Zeugnis bürgerlicher Wohnkultur um 1800.

Impressum: Eigentümer, Herausgeber, Verleger und Druck: Wiener Beethovengesellschaft (WBG, ZVR 723225699), A-1190 Wien, Probusgasse 6. Redaktion und für den Inhalt verantwortlich: Dr. Heinz Anderle, WBG

XLII. Jg. 3/2011

Beethoven und Liszt

eine authentische Beethoven-Wohnung und ihre Geschichte

Ing. Walther Brauneis (Generalsekretär der WBG)

Am 22. Oktober 2011 jährt sich der 200. Geburtstag von Franz Liszt. Beethoven begegnete dem 11-jährigen Wunderkind wenige Tage vor dessen letztem Wiener-Konzert im Kleinen Redoutensaal am 13. April 1823 in seiner damaligen Wohnung auf dem Windmühlengrund (heute Beethoven-Gedenkstätte der WBG in Wien 6., Laimgrubengasse 22). In Beethovens Konversationsheften findet sich die Eintragung des jungen Pianisten: „[…] die hohe Bekan[n]tschaft mit ihnen zu machen und bin sehr erfreyet[,] daß es jetzt seyn kan[n].“ Fünfzig Jahre später wird diese Begegnung auf einer Lithographie in den Konzertsaal verlegt und damit zum Mythos: Mit einem „Weihekuss“ soll Beethoven dort den Elfjährigen nach seinem Auftritt gleichsam geadelt haben. Aber Beethoven war nicht in diesem Konzert und er hat auch dem Wunsch Liszts nach einem Thema zur freien Phantasie nicht entsprochen.

In diesem Jahr war das Sammelwerk des Wiener Musikverlegers Anton Diabelli mit Variationen über ein von ihm vorgegebenes Walzerthema erschienen. Berühmt geworden sind daraus Beethovens 33 Variationen in C-Dur (op. 120). Dem jungen Liszt begegnet man im zweiten Teil dieser Ausgabe, wo erläuternd vermerkt ist: „LISZT FRANZ (Knabe von 11 Jahren) geboren in Ungarn.“ Neun Jahre nach Beethovens Tod begann Liszt mit der Bearbeitung der Symphonien Beethovens als „Partition de Piano“ (Klavierpartituren). Er hatte die Absicht, wie er selbst berichtete, „dem Orchester Schritt für Schritt zu folgen und demselben nur den Vorrang der Massenwirkung und Mannigfaltigkeit der Töne zu überlassen. - Das Klavier hat einerseits die Fälligkeit, das Leben aller in sich aufzunehmen: andererseits hat es sein eigenes Leben, sein eigenes Wachstum, seine individuelle Entwicklung.“ Eine neue Klaviertechnik, an deren Entwicklung Liszt maßgeblich beteiligt war und mit der er Beethovens Hammerklaviersonate im Konzertsaal heimisch gemacht und in Paris eingeführt hatte, ließ eigenständige Werke entstehen, die mit den damals üblichen Klavierauszügen symphonischer Werke für die private Musikpflege nichts mehr zu tun hatten. Bezeichnenderweise hat Liszt die Klavierpartitur von Beethovens „Fünfter“ in der Ausgabe von 1865 keinem geringeren als Hans von Bülow gewidmet.

Vornehmlich in den Jahren 1839 und 1846 setzte sich Liszt in Wien für das Klavierwerk Beethovens ein und spielte unter anderem die Sonaten op. 31, 101, 106 und 110. Die Kritik war sich über seine Interpretationen nicht einig - Liszt spielte Beethoven mit großer Verve und ungewöhnlicher Kraft -, doch triumphierte der Virtuose und zog dank seines unvergleichlichen Vortrags selbst der schwierigsten Passagen auch kritische Gegenstimmen in seinen Bann. Er war damit der erste große Beethoven-Pianist, der seine Zeit, die eine ausdrückliche Vorliebe für den reinen Virtuosenstil zeigte, auf viele vernachlässigte oder fast unbekannte Werke Beethovens hinführte. Seine Verehrung gegenüber Beethoven beweist sich auch aus der Tatsache, dass er nach dessen Tod über den Wiener Musikverleger Carl Anton Spina den Broadwood-Hammerflügel erwarb, der heute im Ungarischen Nationalmuseum in Budapest zu sehen ist.

Eigentümer, Herausgeber, Verleger und Druck: Wiener Beethoven-Gesellschaft. Für den Inhalt verantwortlich: Ing Walther Brauneis. Beide: 1190 Wien. Probusgasse 6